19.07.2017 BGH - Zur Bestellung eines Betreuers trotz einer Vorsorgevollmacht

Leitsätze

1. Bei der Frage, ob der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint, darf der Tatrichter sich nicht auf eine Bewertung einzelner Umstände bzw. Vorfälle beschränken; er hat vielmehr eine Gesamtschau all derjenigen Umstände vorzunehmen, die gegen eine Eignung sprechen könnten.

2. Eine Betreuung kann trotz Vorsorgevollmacht erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet.

Sachverhalt

Der Beteiligte zu 2 begehrt die Einrichtung einer Betreuung für seine Mutter. Die Beteiligten zu 2 bis 4 sind die Kinder der Betroffenen. Sie erlitt einen Schlaganfall. Die Betroffene errichtete zuvor eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht zu Gunsten ihrer drei Kinder mit der Maßgabe, dass jeweils zwei der Bevollmächtigten gemeinsam zu ihrer Vertretung berechtigt sind. Während die Töchter der Betroffenen, die Beteiligten zu 3 und 4, umgehend Vollmachtsausfertigungen ausgehändigt erhielten, verwahrte die Beteiligte zu 4 die für den Beteiligten zu 2 bestimmte Ausfertigung der Vollmacht. Dieser hatte zunächst keine Kenntnis von seiner Bevollmächtigung.

Unter Hinweis auf die Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen und einen mittlerweile erfolgten Widerruf der zugunsten der Beteiligten zu 3 und 4 erteilten Vollmachten hat der Beteiligte zu 2 angeregt, der Betroffenen einen Betreuer zu bestellen. Das Betreuungsgericht hat die Betroffene angehört. Die zuständige Notarin hat noch am Tag der Anhörung die unentgeltliche Übertragung des selbstgenutzten Eigenheims und verschiedener weiterer Grundstücke der Betroffenen – insgesamt der wesentliche Teil ihres Vermögens – auf die Töchter beurkundet. Schließlich hat das Betreuungsgericht die Anregung des Beteiligten zu 2, der Betroffenen einen Betreuer zu bestellen, mit Beschluss abgelehnt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 2 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde.

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Die Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung des Vollmachtswiderrufs liegen nicht vor.

Eine Betreuung kann trotz Vorsorgevollmacht dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint. Nach den Feststellungen des Landgerichts haben sich die Töchter nahezu das gesamte Vermögen der Betroffenen schenkweise übertragen lassen. Hinzu kommt, dass die Beteiligte zu 4 im Besitz der zugunsten des Beteiligten zu 2 ausgestellten Vollmachtsurkunde war, ohne ihm dies mitzuteilen bzw. die Vollmachtsurkunde auszuhändigen. Schließlich haben die Beteiligten zu 3 und 4 den Feststellungen des Landgerichts zufolge ein Gespräch allein zwischen Verfahrenspflegerin und Betroffener unterbunden, weshalb sich der weitere Verfahrensablauf ganz erheblich verzögert hat. Erst nachdem sich die Verfahrenspflegerin bereit erklärt hatte, die Betroffene in Anwesenheit ihrer Töchter zu sprechen, kam es zu einem entsprechenden Kontakt. Zwar entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht. Bei der Frage, ob der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint, darf der Tatrichter sich jedoch nicht auf eine Gewichtung einzelner Umstände bzw. Vorfälle beschränken; er hat vielmehr eine Gesamtschau all derjenigen Umstände vorzunehmen, die gegen eine Eignung sprechen könnten.

Auch wenn das Landgericht in seiner Begründung auf jeden einzelnen Punkt eingegangen ist, der gegen eine Eignung der Beteiligten zu 3 und 4 sprechen könnte, fehlt es an der erforderlichen Gesamtschau der maßgeblichen Umstände, was vom Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen der Fehlerkontrolle zu berücksichtigen ist. Eine solche Gesamtschau könnte Anlass geben, an der Eignung und Redlichkeit der Beteiligten zu 3 und 4 zu zweifeln. Selbst wenn die Betroffene bei Abschluss des Schenkungsvertrags noch geschäftsfähig gewesen sein sollte und damit keiner gesetzlichen Vertretung bedurft hätte, stellt der Umstand, dass sich die Beteiligten zu 3 und 4 nach den Feststellungen des Landgerichts nahezu das gesamte Vermögen der Betroffenen haben übertragen lassen, während das Betreuungsverfahren lief, in Frage, ob sie die Interessen der Betroffenen ausreichend im Blick haben. Hinzu kommt, dass dem Beteiligten zu 2 die Vollmachtsurkunde ursprünglich vorenthalten worden ist und die Beteiligten zu 3 und 4 ein „unbeaufsichtigtes“ Gespräch zwischen Betroffener und Verfahrenspflegerin verhindert haben. Außerdem hat sich das Landgericht nicht die Frage vorgelegt, ob sich der massive Geschwisterstreit im Rahmen der Vollmachtsausübung zum Nachteil des Wohls der Betroffenen auswirken kann. Entgegen der Auffassung des Landgerichts könnten trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Vermögenslosigkeit der Betroffenen im Übrigen Bedenken gegen die Eignung und Redlichkeit der Beteiligten zu 3 und 4 nicht zuletzt deshalb fortbestehen, weil auch Rückforderungsansprüche zu prüfen sein werden.

Fazit

Wenn eine Person seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, so bestellt das Betreuungsgericht für diese Person einen Betreuer, auf dessen Auswahl der Betroffene keinerlei Einfluss nehmen kann. Es kann also passieren, dass jemand zum Betreuer bestellt wird, der zum Betroffenen keinerlei Bezug hat. Die Vorsorgevollmacht macht die Anordnung einer ggf. notwendigen Betreuung jedenfalls für den in der Vollmacht geregelten Bereich entbehrlich, solange der Bevollmächtigte die ihm übertragenen Befugnisse auch tatsächlich und ausreichend wahrnimmt. Die Vorsorgevollmacht ermächtigt also eine Person des Vertrauens, an Stelle und (bis auf wenige Ausnahmen) auch ohne Einschaltung des Gerichts diejenigen Maßnahmen für den Betroffenen vorzunehmen, die in der Vollmacht benannt werden. Bei einer sog. Generalvollmacht ist der Bevollmächtigte zumindest im Außenverhältnis unbeschränkt vertretungsberechtigt für Geschäfte, in denen die Vertretung zulässig ist. Da die Vollmacht hier sogar öffentlich beglaubigt war, konnten die Bevollmächtigten sich ohne Hinzuziehung der Betroffenen auch im Wege der Schenkung Immobilien übertragen.

Der Bevollmächtigte unterliegt zwar einer Auskunfts- und Rechenschaftspflicht. Doch wer soll diese wahrnehmen, wenn der Betroffene es nicht mehr kann und kein Kontrollbevollmächtigter bestimmt wurde. Eine Überwachung des Bevollmächtigten durch das Betreuungsgericht findet hier ja anders als bei der Betreuung grundsätzlich gerade nicht statt.

Der Fall zeigt deutlich, dass die immer wieder empfohlene Vorsorgevollmacht auch erhebliche Nachteile für den Betroffenen haben kann, da eine Überwachung grundsätzlich nicht stattfindet. Wer eine Vorsorgevollmacht in Form einer Generalvollmacht erteilt, sollte daher unbedingtes Vertrauen in die Person des Bevollmächtigten haben und nicht leichtfertig jemanden mit einer umfassenden Interessenwahrnehmung beauftragen.