24.07.2017 OLG München – Wirkung der Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments durch den überlebenden Ehegatten

Leitsatz 

War damit die Erbeinsetzung des Ehemanns als Alleinerben durch seine Ehefrau wechselbezüglich zur Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder durch ihn, führt die Beseitigung dieser (wechselbezüglichen) Schlusserbeneinsetzung durch wirksame Anfechtung gemäß § 2079 BGB dazu, dass gemäß § 2270 Abs. 1 BGB auch die Einsetzung des Ehemanns als Alleinerben durch seine Ehefrau nichtig ist. Im ersten Erbfall tritt dann nach Anfechtung der Schlusserbeinsetzung gesetzliche Erbfolge ein.

Sachverhalt

Die Erblasserin ist zuerst verstorben. Der Beteiligte zu 1 war ihr Ehemann, die Beteiligten zu 2 und 3 die gemeinsamen Kinder. Die Erblasserin hatte mit dem Beteiligten zu 1 zwei gemeinschaftliche Testamente errichtet. Im ersten Testament setzten sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben ein. In dem späteren Testament setzten sich die Ehegatten ebenfalls gegenseitig zu Alleinerben ein und beriefen die gemeinsamen Söhne zu Erben des Letztversterbenden. Nach dem Tod seiner Ehefrau ging der Beteiligte zu 1 eine eingetragene Partnerschaft ein, in deren Folge er mit notarieller Urkunde die Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 2 und 3 aus dem letzten Testament wegen Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten angefochten hat.

In dieser Urkunde heißt es auszugsweise: „Mit wirksamer Anfechtung der Schlusserbeneinsetzung der Kinder in dem gemeinschaftlichen Testament entfallen auch sämtliche letztwilligen Verfügungen von Todes wegen, die hierzu wechselbezüglich sind. Wechselbezüglichkeit liegt vor, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die des anderen getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen Verfügung stehen oder fallen soll. Steht die Schlusserbeneinsetzung der Kinder im Verhältnis zur Erbeinsetzung des Ehemanns durch seine Ehefrau im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit, entfällt bei Wirksamkeit der Anfechtung auch die Erbeinsetzung des Ehemanns durch seine verstorbene Ehefrau und damit dessen Alleinerbenstellung. Liegt keine anderweitige letztwillige Verfügung der Ehefrau vor, tritt (rückwirkend) auf den Todestag gesetzliche Erbfolge ein, was eine Erbengemeinschaft des Ehemanns mit seinen beiden Kindern zu Folge hat.“

Daraufhin erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein, der den Beschwerdeführer zu 1/2, die Beteiligten zu 2 und 3 als Erben zu je 1/4 ausweist. Der Beschwerdeführer erklärte daher die Anfechtung seiner Anfechtungserklärung gegenüber dem Nachlassgericht. Er meint, dadurch sei der Erbschein unrichtig geworden und regt dessen Einziehung an. Das Nachlassgericht hat den Erbschein nicht eingezogen, dagegen richtet sich die Beschwerde.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer hat das Testament wirksam gemäß § 2079 BGB angefochten, sofern er darin die Beteiligten zu 2 und 3, seine Söhne, zu seinen Schlusserben eingesetzt hat, denn nach allgemeiner Ansicht kann der überlebende Ehegatte nach dem Eingehen einer neuen Ehe bzw. Lebenspartnerschaft seine eigenen, in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen wechselbezüglichen Verfügungen wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten entsprechend §§ 2281 ff. BGB nach dem Tod des Erstversterbenden anfechten.

Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten bindend getroffen, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll. Maßgeblich ist allein der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muss diese nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden. Erst wenn die Ermittlung des Erblasserwillens weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen ergibt, ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Diese Auslegungsregel ist erst dann heranzuziehen, wenn nach Überprüfung aller inner- und außerhalb des Testaments liegenden Umstände verbleibende Zweifel nicht zu beseitigen sind. Ob zwischen Verfügungen von Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament der in § 2270 BGB bezeichnete Zusammenhang der Wechselbezüglichkeit besteht, ist - sofern dies nicht eindeutig ist - nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 2084 BGB) zu entscheiden. Ob Wechselbezüglichkeit im Sinne des § 2270 BGB vorliegt, ist nicht generell für das gesamte Testament zu bestimmen, vielmehr muss für dies jede einzelne Verfügung gesondert geprüft und bejaht werden. Dies setzt zunächst voraus, dass die einzelnen Verfügungen ermittelt und festgestellt werden. Erst wenn dies der Fall ist, kann sich die Frage anschließen, ob einer bestimmten Verfügung Wechselbezüglichkeit beizumessen ist.

Zwar haben die Ehegatten die Wechselbezüglichkeit nicht ausdrücklich angeordnet, sie ergibt sich jedoch aus der Auslegung des Testaments. Beide Ehegatten haben sich für den Tod des jeweils anderen Ehegatten als Alleinerben eingesetzt und damit jeweils die gemeinsamen Kinder beim Tod des erstversterbenden Ehegatten enterbt. Dies geschieht regelmäßig in der Erwartung, dass der überlebende Ehegatte nach seinem Tod dann die gemeinsamen Kinder als Schlusserben bedenkt; der vorversterbende Ehegatte hat mithin ersichtlich ein Interesse daran, dass die Alleinerbeneinsetzung des anderen Ehegatten durch ihn mit der bindenden Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder durch den anderen Ehegatten „steht und fällt“.

War damit die Erbeinsetzung des Beschwerdeführers als Alleinerbe durch seine Ehefrau wechselbezüglich zur Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder durch ihn, führt die Beseitigung dieser (wechselbezüglichen) Schlusserbeneinsetzung durch wirksame Anfechtung gemäß § 2079 BGB dazu, dass gemäß § 2270 Abs. 1 BGB auch die Einsetzung des Beschwerdeführers als Alleinerbe durch seine Ehefrau nichtig ist.

Den Verlust dieser Alleinerbenstellung konnte der Beschwerdeführer auch nicht dadurch beseitigen, dass er die Anfechtung der Schlusserbeneinsetzung seiner Söhne mit Erklärung gegenüber diesen wiederrum angefochten hat. Für die Annahme eines zur Anfechtung berechtigenden Irrtums des Beschwerdeführers ist hier kein Raum, zumal darüber hinaus bei einer unterschriebenen Urkunde der Erfahrungssatz besteht, dass sie die vollständigen Willenserklärungen der Parteien richtig wiedergibt.

Eine Alleinerbenstellung des Beschwerdeführers lässt sich schließlich auch nicht aus dem ersten Testament herleiten. Allerdings besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass nach der erfolgreichen Anfechtung eines Testaments ein früheres oder späteres Testament, dass wegen der wechselbezüglichen Verfügungen an sich nichtig ist, Wirksamkeit erlangt. Dies kommt hier aber nicht in Betracht, weil die Alleinerbeneinsetzung des Beschwerdeführers durch die Erblasserin im ersten Testament wirksam widerrufen wurde und dieser Widerruf nach wie vor wirksam ist. Ein Widerruf setzt gemäß § 2254 BGB nicht voraus, dass er ausdrücklich erklärt wird, vielmehr kann sich der Widerruf der früheren Verfügung im Wege der Auslegung ergeben; dies ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Bei der Testamentsauslegung gemäß § 133 BGB kommt es auf den wirklichen Willen des Erblassers an, ohne am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Für die Ermittlung dieses Willens sind alle Umstände, auch solche außerhalb des Testaments heranzuziehen. Schon der Wortlaut der beiden Testamente legt den Schluss nahe, dass die Erblasserin bei Errichtung des späteren Testaments den Willen hatte, die Einsetzung ihres Ehemanns als Alleinerben im ersten Testament nur dann und insoweit aufrecht zu erhalten, wenn dieser im Gegenzug die gemeinsamen Kinder als seine Schlusserben einsetzt; im Übrigen sollte die frühere Verfügung keinen Bestand mehr haben. Damit verschlechterte sich die Stellung des Beschwerdeführers durch das spätere Testament, denn während die Erblasserin ihn im ersten Testament ohne weitere Einschränkungen als ihren Alleinerben eingesetzt hatte, hielt sie diese Verfügung im späteren Testament nur (noch) insoweit aufrecht, als der Beschwerdeführer seinerseits für den Fall seines Letztversterbens im Gegenzug die gemeinsamen Kinder zu seinen Erben einsetzen würde. Damit wurde die (unbedingte) Alleinerbeneinsetzung des Beschwerdeführers im ersten Testament wirksam gemäß § 2254 BGB widerrufen. Dieser Wille ist auch durch die Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 2 und 3 hinreichend im späteren Testament angedeutet und somit formwirksam erklärt, § 2247 Abs. 1 BGB.

Dieser Widerruf der Erbeinsetzung im ersten Testament durch das zweite Testament wird durch die vom Beschwerdeführer erklärte Anfechtung nicht berührt. Gemäß § 2270 Abs. 1 BGB werden durch die wirksame Anfechtung einer wechselbezüglichen Verfügung grundsätzlich alle mit ihr im Abhängigkeitsverhältnis stehenden Verfügungen des anderen Ehegatten gleichfalls unwirksam. Andere Verfügungen, insbesondere die nicht im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zur angefochtenen Verfügung (hier: Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder) stehenden Verfügungen des vorverstorbenen Ehegatten werden mithin durch die Anfechtung nicht berührt. Der von der Erblasserin im zweiten Testament (konkludent) erklärte Widerruf der unbedingten Alleinerbeneinsetzung ihres Ehemannes im ersten Testament ist aber eine einseitige Verfügung, die nach § 2270 Abs. 3 BGB nicht wechselbezüglich und deshalb auch nicht von der Nichtigkeitsfolge des § 2270 Abs. 1 BGB betroffen sein kann. Damit bleibt es dabei, dass die Erbeinsetzung des Beschwerdeführers im ersten Testament wirksam widerrufen ist, so dass nach dem Tod der Erblasserin gesetzliche Erbfolge eingetreten ist. 

Mithin ist der vom Nachlassgericht erteilte Erbschein richtig.

Fazit

Bevor man eine letztwillige Verfügung anficht, muss sich vorher über die Rechtswirkung der Anfechtung im Klaren sein. Insbesondere bei gemeinschaftlichen Verfügungen ist daher zu prüfen, ob die angefochtene Verfügung wechselbezüglich zu einer anderen Verfügung im Testament war.

Hätte die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute ergeben, dass die Alleinerbeinsetzung des Letztversterbenden zu der angefochtenen Schlusserbeinsetzung nicht wechselbezüglich war, bleibt der Überlebende Alleinerbe des Vorverstorbenen. In diesem Fall war eine Anfechtung der Schlusserbeinsetzung durch den Überlebenden aber obsolet.