12.09.2017 OLG Hamm: Erbeinsetzung in gemeinschaftlichem Ehegattentestament kann lebzeitige Schenkungen einschränken

Leitsätze

1. Wechselbezügliche Verfügungen müssen nicht zwingend zeitgleich in einer einheitlichen Urkunde getroffen werden. Sie können auch nacheinander in getrennnten Urkunden niedergelegt werden. Allerdings muss in diesem Fall ein entsprechender Verknüpfungswille feststellbar sein, der sich aus den Urkunden zumindest andeutungsweise ergeben muss.

2. Auch ein langer Zeitraum von fast 40 Jahren, der zwischen den beiden Testamenten liegt, spricht nach den Gesamtumständen nicht entscheidend gegen die Annahme eines Verküpfungswillens der Eheleute. Anhaltspunkte für eine nachträgliche Verknüpfung können sich etwa auch aus einer inhaltlichen Bezugnahme und einer gemeinsamen Verwahrung der Testamente ergeben.

3. Die Feststellung eines lebzeitigen Eigeninteresses erfordert eine umfassende Abwägung der Interessen im Einzelfall. Es kann fehlen, wenn der Erblassser Zuwendungen erheblicher Vermögenswerte in erster Linie auf Grund eines auf Korrektur der Verfügung von Todes wegen gerichteten Sinneswandels vornimmt.

Sachverhalt

Der Kläger ist Erbe seines verstorbenen Vaters und Erblassers. Dieser und die vorverstorbene Mutter des Klägers hatten diesen in einem gemeinschaftlichen Testamentsnachtrag zum Schlusserben des längerlebenden Ehegatten eingesetzt. Nach dem Tod der Mutter lernte der Vater die Beklagte kennen, mit der er zusammenlebte. Auf Wunsch des Vaters vereinbarte der Kläger mit der Beklagten im Jahr 2010 ein lebenslanges Wohnrecht an einer im Eigentum des Klägers stehenden Wohnung unter der Bedingung, dass die Beklagte den Vater bis zu dessen Tod oder bis zu einer Heimaufnahme pflegt und in Bezug auf das von ihr und dem Vater bewohnte Haus keine Besitzansprüche stellt. In der Folgezeit übertrug der Vater der Beklagten verschiedene Vermögensgegenstände. Der Kläger hat nach dem Tod des Vaters von der Beklagten die Herausgabe der übertragenen Vermögenswerte verlangt und gemeint, die Zuwendungen seien als sein Erbteil beeinträchtigende Schenkungen rückabzuwickeln. Die Beklagte hat eine Beeinträchtigungsabsicht des Erblassers bestritten und behauptet, dieser habe ihr die Vermögenswerte aus Dankbarkeit für und zur Sicherstellung weiterer intensiver Pflege übertragen.

Entscheidungsgründe

Das OLG Hamm hat die Beklagte zur Übertragung der ihr zugewandten Vermögenswerte und zur Rückzahlung der von ihr erlangten Gelder verurteilt. Der Erblasser habe der Beklagten die Vermögenswerte geschenkt. Diese Schenkungen hätten die Erberwartung des Klägers beeinträchtigt und seien nicht durch ein - eine Benachteiligungsabsicht ausschließendes - anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Vaters veranlasst gewesen. Nach dem Tod der Mutter habe der Vater die Einsetzung des Klägers als Schlusserbe beachten müssen. Die Erbeinsetzung beruhe auf einer wechselbezüglichen Verfügung beider Ehegatten, an die der Überlebende nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten gebunden sei. Die in Frage stehenden Zuwendungen habe die Beklagte als Schenkungen erhalten. Dass sie als Gegenleistung für die erbrachten oder erwarteten Pflegeleistungen vertraglich vereinbart gewesen seien, habe die Beklagte nicht schlüssig vorgetragen. Der Erblasser habe bei der Schenkung auch mit Benachteiligungsabsicht gehandelt. An das Vorliegen der Benachteiligungsabsicht seien zunächst nur geringe Anforderungen zu stellen. Die Beeinträchtigung des Vertragserben müsse nicht das einzige oder leitende Motiv für die Schenkung gewesen sein. Es genüge vielmehr, dass der Erblasser wisse, dass er durch die unentgeltliche Zuwendung das Erbe schmälert. Zur Feststellung einer Benachteiligungsabsicht sei allerdings durch eine Abwägung der beteiligten Interessen zu prüfen, ob der Erblasser ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse an der Zuwendung habe. Nur in diesem Fall müsse der Erbe die seine Erberwartung beeinträchtigende Zuwendung hinnehmen. Ein derartiges Eigeninteresse könne zwar vorliegen, wenn ein Erblasser mit einer Schenkung seine Altersvorsorge und Pflege sichern wolle. Die Annahme eines lebzeitigen Eigeninteresses scheidet ebenfalls aus, wenn der Erblasser die Zuwendungen wesentlicher Vermögenswerte in erster Linie auf Grund eines auf Korrektur der Verfügung von Todes wegen gerichteten Sinneswandels vornimmt.

Im zu beurteilenden Fall hat die Beklagte ein diesbezügliches, anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers nicht schlüssig darlegen können. Die Schenkungen an die Beklagte hatten den Nachlass weitgehend wertlos gemacht. Dem standen behauptete Pflege- und Haushaltsleistungen über einen Zeitraum von circa vier Jahren gegenüber, wobei zu berücksichtigen war, dass die Beklagte während dieser Zeit ohnehin in vollem Umfang freie Kost und Logis vom Erblasser erhalten hat. Außerdem hat ihr der Kläger für die Zeit nach dem Tod des Erblassers ein Wohnrecht zugesagt. Vor diesem Hintergrund rechtfertigten die von der Beklagten behaupteten Pflege- und Haushaltsleistungen die infrage stehenden Schenkungen nicht.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Hamm ist zu begrüßen. Allerdings ist zu beachten, dass es sich hier um eine Einzelfallentscheidung handelt. Der Erblasser hatte hier schon zu Lebzeiten gegenüber seinem Sohn erklärt, dass er ihm sein Restvermögen entziehen werde. So schrieb er an seinen Sohn: „…Unter diesen Umständen, die mich hart getroffen und höchst unverständlich gemacht haben, sah ich mich veranlasst, mein noch bestehendes Restvermögen zu entsorgen und einer Vererbung nach meinem Ableben zu entziehen …“

Das Vorliegen der Voraussetzung des Anspruchs nach § 2287 BGB (analog) ist daher wie bisher auch in jedem Einzelfall zu prüfen und vom jeweiligen Sachverhalt abhängig. So müssen v.a. folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • wechselbezügliche, bindende Verfügung im gemeinschaftlichen Testament;
  • Schenkung;
  • Beeinträchtigungsabsicht: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist durch eine Gesamtabwägung der Interessen nach objektiven Kriterien eine Abgrenzung zwischen einem Missbrauch der freien Verfügungsmacht des Erblassers zu seinen Lebzeiten und solchen Fallgestaltungen vorzunehmen, in denen der Erblasser ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse an der Zuwendung hat. Bejaht wird ein lebzeitiges Eigeninteresse etwa bei der Erfüllung einer sittlichen Pflicht des Erblassers aufgrund besonderer Leistungen, Opfern oder Versorgungszusagen, die der Beschenkte für den Erblasser erbracht hat. Insbesondere kann ein lebzeitiges Eigeninteresse anzunehmen sein, wenn die Schenkung dem Bemühen des Erblassers entspringt, seine Altersvorsorge und Pflege zu sichern. Geboten ist jedoch stets eine umfassende Abwägung der Interessen im Einzelfall. Schenkungen, die jedes vernünftige Maß überschreiten, sind nicht gerechtfertigt. Die Annahme eines lebzeitigen Eigeninteresses scheidet ebenfalls aus, wenn der Erblasser die Zuwendungen wesentlicher Vermögenswerte in erster Linie auf Grund eines auf Korrektur der Verfügung von Todes wegen gerichteten Sinneswandels vornimmt. Ist die Rechtfertigung der Zuwendung durch ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers streitig, obliegt es zunächst dem Beschenkten, substantiiert und schlüssig Umstände vorzutragen, die für ein solches Interesse sprechen. Erst dann muss der Vertragserbe die angeführten Umstände widerlegen.